Dieser Text wurde in der Zeitung DIE TAGESPOST am 3.3.2020 veröffentlicht und wird hier mit Genehmigung der Redaktion der Zeitung DIE TAGESPOST angezeigt: Nachstehender Link führt Sie auf den originalen Artikel in der Zeitschrift DIE TAGESPOST
Gott sei Dank gibt es Christa Meves
08.08.2017 Foto: Lohmann
Mit wachem Blick und tiefer Sorge: Christa Meves kann sagen, worauf es für ein glückliches Leben ankommt.
Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin ist Wegweiserin für Familien- und Kinderglück. Ein Geburtstagsbillet zum 95.
Cassandra hat man sie genannt – was sie selbst mit einem nach wie vor mädchenhaften Lachen zu quittieren versteht. Umstritten sei sie, heißt es. Diese Ehrenbezeichnung hat sie sich verdient. Das Streitthema: Sie hat sehr früh vor fatalen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gewarnt. Und was diejenigen, die nicht hören und erkennen wollten, besonders ärgert: Christa Meves behielt recht. Genau das macht Propheten, die mit hellwachem Geist und heldenhaftem Mut die Wahrheit verkünden, ja so unendlich unbequem.
Christa Meves analysiert die gewandelte westliche Gesellschaft.
Wer wie die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit Herz und Geist klar zu sehen vermag, stört empfindlich in Zeiten der Verwirrung und Verführung. Wer wie Christa Meves mentale Medikamente der Freiheit zu reichen vermag, ist unweigerlich zur Bekämpfung in einer Diktatur des Relativismus freigegeben. Doch das ficht die in Uelzen lebende Wegweiserin für Familien- und Kinderglück nicht an. Wer mit ihr spricht, wer sie trifft, der begegnet nach wie vor einer klugen, neugierigen, interessierten und edlen Persönlichkeit, die mit Charme und Wissen zu faszinieren weiß.
Zum Segen geworden
Nicht nur körperlich ist sie eine große Frau, der viele Menschen zum 95. Geburtstag am 4. März ein dickes und tiefverwurzeltes Dankeschön zurufen wollen. Und die Gott dankbar sind für dieses Segensgeschenk. Christa Meves ist im wahrsten Sinne eine Benedicta, also eine, der von Gott Gutes zugesprochen ist – bene dicere –, und die anderen Gutes zuspricht, die das von oben Geschenkte gerne weiterreicht an andere. Viele würden wohl Johanna Gräfin von Westphalen zustimmen, die vor fünf Jahren feststellte, dass Christa Meves zum Segen geworden ist – „für unsere Kinder, Mütter, Familien, für unser ganzes Volk!“. Wer also der 1925 in Neumünster geborenen Christa Meves gratulieren will, kann den Segenswunsch für dieses Gottesgeschenk ganz in ihrem Sinne zum Ausdruck bringen mit einem Deo gratias.
„Wir brauchen, anders als uns alle Verführer einimpfen wollen,
für unsere Lebensgestaltung das Hinaufhören zu einem allmächtigen Gott.“
Christa Meves
Sehr früh erkannte sie voller Unruhe und Sorge eklatante Fehlentwicklungen in Folge der Studentenrevolte 1969. Sie nannte es den „neuen zentralen Sündenfall durch ein Hintanstellen der christlichen Struktur des Abendlandes“. Als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin entdeckte sie auch in dieser Zeit bereits die negativen Folgen eines Verhaltens, das sich aus einem allein von Menschenhand gemachten Leben ergibt. Sie sagt: „So wurde die Schöpfungsordnung in der Kindererziehung nun weitgehend – und zwar negativ – verändert, was bald schon eine Aufweichung der familiären Strukturen zur Folge hatte.
Darüber hinaus wurde die Sexualität, der zweitstärkste Naturtrieb, der moralischen Einbindungen enthoben und zu selbstbestimmter Entfesselung freigegeben. Die Autoritäten und Hierarchien wurden für überflüssig erklärt.“ Unbeirrt und warnend markiert Meves seither, welche Folgen die offenbar bewusst gewollte Schwächung von seelischer Gesundheit im Kindesalter für ein ganzes Leben, auch im Blick auf Leistungs- und Bindungsfähigkeit, hat. Es sei besonders gefährlich, schädigend und in höchstem Maße unverantwortlich, „wenn das Kind in den ersten drei Lebensjahren zu wenig Nähe mit seiner Mutter erfahren hat“.
Mehr als 3.000 Vorträge
In mehr als 3 000 Vorträgen und mehr als 100 Büchern mit einer Auflage von mehr als sechs Millionen in zahlreichen Sprachen wirkte Christa Meves im Dienst des Glücks und der Lebensehrfurcht für Mütter und Väter, vor allem aber für Kinder. Dem Zeitgeist den ungeliebten und dennoch notwendigen Spiegel vorhaltend verkündet sie – bestens begründet durch Studien und eigene Beobachtungen – ihr Credo: Die Mutter gehört zum Kind! Die einstige Herausgeberin der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ weiß sehr wohl, dass eine solche Aussage plakativ ist. Aber nicht ohne Genugtuung kann sie heute darauf verweisen, dass alle ihre engagiert gemachten Hinweise und berechtigten Warnungen, stets verbunden mit konkreten Orientierungshilfen und keineswegs in der Theorie hängenbleibend, inzwischen wissenschaftlich belegt werden konnten. Und genau das, dieses schlichte Rechthaben, das sich auf der christlichen Kenntnis vom Menschen und seiner Berufung gründet, missbrauchten diejenigen, die auf ihrem gesellschaftlichen Irrweg starrköpfig beharren, zur Geißelung der Prophetin – was diese bis heute eher amüsiert. Vom ungebrochenen und frischen Kampfesgeist zeugt nicht zuletzt ihr monatliches „Meves aktuell“ auf ihrer Homepage (www.christa-meves.eu).
Sätze wie diese mögen nicht ins ideologische Kleinkaro einer sich aufgeschlossen dünkenden Zeit passen, sie sind und bleiben aber dennoch richtig: „Die Bindung des Kindes an seine Mutter hat lebenserhaltenden Sinn. Deshalb bleibt sie auch noch in den folgenden Jahren in dem Maß erhalten, als das Kind vollständige Selbstständigkeit noch nicht erlangt hat, und das heißt, bis in die Siebenjährigkeit hinein.“ Und auch das wollen manche Konstrukteure einer anderen Welt nicht hören: „Den Säugling in Krippen zu betreuen, sollte deshalb nur dem äußersten Notfall vorbehalten bleiben; denn eine Fremdbetreuung durch mehrere Personen im Schichtdienst irritiert das Kind und mindert seine spätere Soziabilität. Eine umfängliche Langzeituntersuchung in den USA hat sogar apodiktisch festgestellt: diese Form des Umgangs mit dem Säugling schadet ihm, je früher sie einsetzt, je länger sie dauert und je kontinuierlicher sie gehandhabt wird.“ Und so benennt Meves auch heute – und heute erst recht und bestens belegt – die Risiken, ja Gefahren der Krippenbetreuung.
Als Protestantin aufgewachsen
Meves macht Mut. Woher nimmt sie die Kraft? Die vielfach mit Auszeichnungen Geehrte, die als Protestantin aufwuchs und Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland war, konvertierte 1987 zum katholischen Glauben. Seither ist der Empfang des real gegenwärtigen Gottes in der heiligen Eucharistie für sie der (!) Quell ihrer Schaffenskraft. Wer sie darauf anspricht, kann in ein glückliches, zufriedenes und Geborgenheit ausstrahlendes Gesicht einer jung gebliebenen Seele blicken, in dem sich Zuversicht und Frieden spiegeln.
Und man hört dann – wie bei jeder Begegnung mit ihr, als habe man Seele und Herz gemeinsam mit dem Verstand erlaubt, ein Wellnessbad zu nehmen – ein frisches und frohes bekenntnisreiches Jaaaa mit jenem tiefen „A“, das sie mit einem vulkanähnlich eruptiven Lachen zu verknüpfen versteht. Dann spürt man auch: Sie hat keine Angst vor dem Tod, über den sie einmal schrieb: „Ich will dem Tod entgegenträumen/ und Stück für Stück/ von dieser Erde räumen/ von meinem Haften an sie/ jetzt und hier –/ es will in mir ganz langsam, vorsichtig zurück/ wie eine Tür sich langsam schließt,/ um einen Schläfer nicht zu stören,/ einen Zehengang, der's Fortgehen genießt,/ bedacht auf all das neue Hören ...“
Dieser Papst wagte die Wahrheit
Ihr inneres Koordinatensystem kann man ablesen an dem, was sie zum Grund ihrer Konversion sagt. Die Klarheit von Johannes Paul II. traf sie ins Herz. Sie machte die Erfahrung, dass die Mächtigen und die veröffentlichte Meinung „mehr als taub waren“, als sie schrieb und aufrütteln wollte. Aber dann „kam dieser Papst: Von der ,Kultur des Todes‘ sprach er. Eine Enzyklika ,Redemptoris mater‘ erschien, eine andere mit Namen ,Familiaris consortio‘ und vieles mehr. Ich las und las mit roten Ohren, und mir sprangen Reifen der Sorge von der Seele: Dieser Papst wagte die Wahrheit! Und das fiel mitten hinein in meine publizistische Einsamkeit und in mein doch nur so schwaches warnendes Zirpen.“
Und sie entdeckte in der heiligen Messe das kraftvolle Sakrament der Eucharistie – sowie die inspirierende Geborgenheit im verständnisreichen und verehrenden Gespräch mit der Gottesmutter. Über den Heiligen Pontifex, der diese bekenntnisreiche Erkenntnis im Wappen zeigte, sagt sie: „Dieser Papst bewies darüber hinaus durch sein Auftreten in aller Welt, was echte christliche Autorität bedeutet: Unverrückbarkeit des Bekenntnisses zur Wahrheit in souveräner Gelassenheit, wie sie aus der Feindesliebe strömt – eine Dokumentation von Autorität mitten im Ansturm der Demontage jeglicher Autoritäten und Hierarchien besonders im Bildungsbereich!“
Schnörkellos, mutig, glaubensstark, echt, verletzlich, analytisch, hilfsbereit, nachdenklich, dankbar, verlässlich, mütterlich, gütig, herzlich – all das beschreibt eine Frau, die anderen Mut macht und im besten Sinne eine von oben gespeiste Zu-Mutung ist. Sie stemmt sich mit bestem Wissen gegen die entfesselte Maßlosigkeit, gegen die Auflösung der Familie, gegen den Missbrauch von Kindern durch Frühsexualisierung und gegen eine Kultur des Todes und der Zerstörung. Sie ist eine Anwältin der erfüllenden und lebensfrohen Freiheit. „Wir brauchen, anders als uns alle Verführer einimpfen wollen, für unsere Lebensgestaltung das Hinaufhören zu einem allmächtigen Gott“. Ansonsten „missachtet der Mensch die Gegebenheit, dass wir als biologische Lebewesen in die Naturordnungen Gottes eingebunden sind und dass es uns grundsätzlich übel geht, wenn wir diese Grenzen nicht einhalten. Bei der Umweltverschmutzung geht uns das jetzt schon ein wenig auf. Aber das betrifft auch die Ökologie des Menschen selbst.“ Kein Wunder, dass auch Benedikt XVI. diese Frau schätzt. Gott sei Dank gibt es Christa Meves.
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“Gläubig war ich immer“:
Ein Gespräch mit
Christa Meves zum 95. Geburtstag
Dieser Artikel von Michael Ragg ist in der Zeitschrift PUR MAGAZIN erschienen https://pur-magzin.de und mit der Genehmigung von Herrn Müller ist er hier auf der Homepage von Christa Meves eingefügt.
Den kompletten Artikel finden Sie auch unter
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KÖLN , 29 February, 2020 / 3:22 PM (CNA Deutsch).-
Mit etwa sechs Millionen verkauften Büchern gehört Christa Meves zu den meistgelesenen christlichen Autoren im deutschen Sprachraum. Die Psychotherapeutin ist bekannt für ihre Arbeit für Kinder und Jugendliche und hat über zweihundert Bücher vefröffentlicht. Zum 95. Geburtstag der Bestsellerautorin sprach Michael Ragg mit Christa Meves in einem Interview für das "PUR"-Magazin. CNA Deutsch veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung eine leicht gekürzte, redigierte Fassung des Gesprächs.
Frau Meves, Sie haben großen Einfluss auf zwei Generationen von Familien in den deutschsprachigen Ländern ausgeübt. Jetzt begehen Sie ihren 95. Geburtstag. Wie geht es Ihnen?
Mir geht es gut – so gut es einem eben gehen kann, wenn man in diesem hohen Alter steht. Mein Hausarzt hat mir kürzlich das Blutbild einer Achtzehnjährigen bescheinigt. Das hat mich doch einigermaßen ermutigt (lächelt). Aber man merkt täglich, dass der Körper abgebaut wird: erst die Augen, dann die Ohren, dann der Rücken, dann die Gelenke – jeden Tag ein bisschen mehr. Unsere Körper gehören eben in die Kategorie des Werdens, Wachsens und Vergehens. Das gehört zu Gottes Schöpfungsordnung. Dazu müssen wir eben ja sagen. Ein bisschen schmerzlich ist es allemal.
Wir kommen ja in diesen Tagen auch zusammen, um drei Tage lang eine neue Fernsehserie für EWTN.TV aufzuzeichnen. Viele Senioren wären auch noch in erheblich jüngeren Jahren froh, so etwas leisten zu können. Wie sieht denn ein typischer Tag bei Ihnen aus?
Der ist tatsächlich sehr erfüllt, im Dienst für unseren hochgeliebten, wunderbaren, einzigartigen Gott. Ein gewöhnlicher Werktag sieht in etwa so aus: Nach einer kleinen Morgenandacht fangen meine Mitarbeiterin und ich etwa um neun Uhr an zu arbeiten. Wir beantworten zunächst all die Fragen, die mir gestellt worden sind, meistens von ratsuchenden jungen Müttern, die mit ihren jungen oder pubertierenden Kindern nicht zurechtkommen. Meistens antworten wir per Mail. Das machen wir bis Mittag. Nach einem kleinen Mittagsschlaf gehe ich am Nachmittag an die Aufträge, die ich habe. Ich schreibe regelmäßig für drei Zeitungen und Zeitschriften Beiträge. Einmal im Monat verschicke ich per Mail meinen Rundbrief “Meves aktuell“, in dem ich zu aktuellen Entwicklungen unserer Gesellschaft oder zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Stellung beziehe. Er erreicht schon mehr als tausend Bezieher. Da gibt es viel Neues zu vermitteln, auch Erkenntnisse, die immer wieder bestätigen, was ich in der Beratungspraxis seit mehr als fünfzig Jahren wahrgenommen habe. Die Psychologie hat einen großen Aufschwung genommen, nehmen müssen, weil immer mehr Menschen psychisch erkranken.
Sie sind auch auf katholischen Radio- und Fernsehsendern ständig präsent. Längst könnten Sie es sich ja leichter machen und sich auf ihren Meriten ausruhen. Empfinden Sie ihren guten Gesundheitszustand auch als Verpflichtung, als Anruf von Gott, sich weiter in seinen Dienst nehmen zu lassen?
Ganz gewiss! Erst einmal bin ich dankbar, denn ich höre ja auch von Frauen, die Mütter oder Großmütter meines Alters pflegen, was das für eine Last sein kann. Das bewirkt aber auch, dass ich gar nicht aufhören kann, denn unserem Herrn geht es ja ähnlich wie in Noahs Zeiten. Er schaut auf eine Gesellschaft, die er liebt, und die, wie er es bei Noah sagt, “verderbt“ ist. Das alles bewegt mich und ich tue, was ich noch tun kann.
Was sind denn typische Schwierigkeiten, mit denen Mütter sich heute an Sie wenden?
Es geht schon in der frühen Kindheit los, schon im Trotzalter. Kinder werfen sich auf den Boden, schlagen ihren Kopf dagegen, rot vor Wut, und die Mutter denkt, “das Kind mag mich nicht mehr“. Dabei ist das die Folge dessen, was vorher, unwissend mit dem Kind nicht so gelaufen ist, wie es das in seinem Reifungsprozess benötigt. Das kann es nicht ertragen. Und anders kann es sich nicht wehren als mit schreiendem Protest. So viel Sprache und so viel Bewusstsein hat ein drei- oder vierjähriges Kind noch nicht. Bei uns ist schon jedes fünfte Kind im Alter von fünf Jahren psychotherapiebedürftig, sagen uns die Kinderärzte. Das hat sehr stark zugenommen, wie ich es ja zu Beginn meiner öffentlichen Tätigkeit, schon vor fünfzig Jahren, für heute vorausgesagt habe.
Sie haben schon in den Siebzigerjahren gesagt, dass Störungen bei Kindern zunehmen werden und das damit begründet, dass zu wenig beachtet werde, was die Natur in Bezug auf Pflege und Erziehung von Babys und Kleinkindern fordert. Aber heute steht doch “Natur“ ganz hoch im Kurs. Überall heißt es, wir müssen die natürlichen Lebensgrundlagen beachten und schützen. Hat sich das denn nicht auf die Kindererziehung ausgewirkt?
Es gibt eine allgemeine Ahnung in der Bevölkerung von der Bedeutung natürlicher Vorgaben, sonst hätte die Umweltbewegung nicht so stark werden können. Aber mit dem Ahnen allein ist es nicht getan. Es geht ja nicht nur darum, dass wir jeden Morgen in einem Wald joggen gehen. Es kann erst eine konstruktive Änderung erfolgen, wenn wir neu begreifen, dass Gott für alle Geschöpfe eine Naturordnung vorgesehen hat, eine jeweils verschiedene Ordnung für jede Tier- und Pflanzenart und eine ganz besondere Art für die Menschen. An sich sagen uns das schon unsere Instinkte, aber diese sind durch die Künstlichkeit unserer Lebenswelt und die Dauerbestrahlung durch Ideologien oft überwuchert.
Sie haben schon ganz zu Anfang stark gegen die Kindererziehung im Nationalsozialismus argumentiert. Damals gab es ja das populäre Erziehungsbuch der Ärztin Johanna Haarer “Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, das noch in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als Standardwerk angesehen und von Ihnen total abgelehnt wurde. Eine Kernthese war dort, man solle die Babys einfach schreien lassen, sie in einen anderen Raum legen und warten, bis sie von selbst aufhören, denn dann würden sie hart, nicht verweichlicht und dadurch etwa auch gute Soldaten.
Das ist glücklicherweise aus der Mode, aber heute gibt es die neue Ideologie, die Mütter sollten so schnell als möglich nach der Geburt wieder in den Beruf und die Kinder in der Kita abgeben. Es ist für mich außerordentlich schmerzlich zu erleben, dass der Zeitgeist in Medien und Politik wieder so auf die Kollektivierung ausgerichtet ist. Der Blick richtet sich nicht auf das einzelne Kind, auf die einzelne Mutter, auf den einzelnen Vater, nicht auf etwas Vertrautes im Familienverband, der für es voller Liebe ist. Daraus kann es die Kraft zum Leben schöpfen. Stattdessen gibt es die Tendenz zur Gleichmacherei. Es ist aber jeder Mensch handgemacht von unserem Schöpfer, jeder unwiederholbar, jeder anders als der andere. Schon durch einen Speicheltest kann man feststellen, um welchen konkreten Menschen es sich handelt. So ist heute das Gleiche zu sagen wie damals gegen die Ideologie von Johanna Haarer: Ein kleines Kind kann sich in den ersten Jahren noch nicht an das Alleingelassensein von den Eltern gewöhnen. Die Vorstellung, das Kind von Anfang an durch Alleingelassensein nicht zu verwöhnen, ist gefährlich unnatürlich. Es wird als hilfloses Menschenkind geboren und braucht die sichere Zuwendung vor allem der Mutter, um gesund und stark aufzuwachsen. Sonst entstehen später oft Depressionen, deren epidemischen Anstieg ich schon früh vorausgesagt habe und die heute zur Volkskrankheit Nr.1 geworden sind.
Gibt es Belege für diese besondere Beziehung von Mutter und Kind?
Es würde den Rahmen sprengen, all die Fingerzeige der Natur aufzuführen. Jetzt erst ist zum Beispiel entdeckt worden: Wenn man das normal geborene Kind kurz nach der Geburt auf dem nackten Bauch der Mutter liegen lässt, dann robbt sich das Kind mit seiner schon sehr gut entwickelten Motorik dort hin, wo es hoffen kann, dass jetzt die Nahrung zu finden ist, die es braucht. Und das ist eine berechtigte Hoffnung des Neugeborenen! Und dann sitzt da ein junges Ehepaar bei mir und sagt: “Ob wir stillen wollen, das wissen wir noch nicht, da müssen wir mal sehen, wie sich das Kind entwickelt.“ Aber letztlich ist es viel einfacher. Das Kind will gestillt werden! Das ist die Nahrung, die dieses Kind mithilfe seiner eigenen Mutter sucht, nicht irgendeiner sonst. In der Not lässt sich die Mutter heute zwar ersetzen, aber es ist nicht das, was eigentlich sein soll.
Aus dieser notwendigen Befriedigung des Nahrungstriebs erwächst sehr schnell noch viel mehr: Das Kind schaut beim Gestilltwerden seiner Mutter ins Gesicht und schaut so lange, bis es begreift: “Das ist sie, die Richtige, die ich schon lange kenne!“ Ihr kann ich jetzt in die Augen schauen. An diese Person muss ich mich halten und binden. Sie garantiert mir mein Lebenswachstum. Das ist die, die ich schon neun Monate kennengelernt habe! Dieses Erkennen ist das, was ein Kind am tiefsten zufrieden macht. Hier entsteht das Grundgefühl des Zufriedenseins, des Beschützt- und Geborgenseins. Das muss als erstes Lebensgefühl in dieses kleine Gehirn hinein, das sich nun entfalten soll.
In dieser Frage waren Sie ja auch im “Mainstream“ erfolgreich; denn Sie waren eine Wortführerin derer, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren das Stillen wieder propagiert haben und damit den damaligen Trend zur künstlichen Babynahrung ein Stück weit brechen konnten. Aber in einer anderen Frage hat man nicht auf Sie gehört, nämlich bei der zunehmenden Kollektivbetreuung in den Kitas. Da wird nun gesagt, das sei doch gut für die Kinder, denn statt bei der Mutter zuhause, die vielleicht mitunter nicht sehr gebildet ist, komme das Kind nun in eine Einrichtung mit ausgebildeten Betreuerinnen, die die Bildung sehr stark anregen könnten.
... denkt man! Wenn man Kleinkinder beobachtet, kann man sehen, welche Mütter die Klügsten sind. Nicht unbedingt die, die einen Doktorhut auf dem Kopf oder eine tolle Ausbildung haben, sondern die mit einer gesunden urtümlichen Mutterliebe. Sie haben meist auch intuitiv ein gesundes Gespür für das Baby. Das ist eine Klugheit vor aller Intellektualität.
Wie hängen denn Bindung an die Mutter und Bildungsfähigkeit des Kindes zusammen?
Die Bildungsfähigkeit entsteht ganz natürlich durch die Zuwendung, durch die intensive, opferbereite Liebe für dieses Kind. Je mehr es eine naturgemäße Bindung erfahren hat, je mehr es auf seine Fragen in der Vorschul- und Grundschulzeit Antworten bekommen hat, desto gebildeter wird es. Wenn es nur vor den Fernseher, vor Videos und das Smartphone gesetzt wird, wenn es nicht in seiner Umgebung auf Pflanzen und Tiere aufmerksam wird, wenn man es nicht anregt, dann bleibt es später hinter seinem genetischen Optimum zurück. Allein durch schulische “Projekte“ später lässt sich das nicht ersetzen. Kinder brauchen Vorangehende, die selbst wach und liebend sind. Durch solche Anregungen werden sie später gute Schüler, was doch alle Eltern so sehr wünschen!
Inzwischen hat sich ja auch die Hirnforschung dieser Frage angenommen und festgestellt, dass bei Kindern, die in den ersten Jahren von der Mutter betreut worden sind, die Gehirne ganz anders aussehen, dass sie “voller“ sind, mit viel mehr Verknüpfungen, so dass die Aufnahmefähigkeit für Bildungsinhalte nachher viel größer ist. Die moderne Wissenschaft vom Kinde bestätigt, was Sie, Frau Meves, immer schon vertreten haben. Dennoch geht der Trend heute in die Gegenrichtung. Den Frauen wird gesagt: Ihr müsst so schnell wie möglich in den Beruf zurück, damit ihr euch verwirklicht und Karriere macht und auch weil die Wirtschaft wegen des Arbeitskräftemangels die Frauen braucht.
Ich lerne da durch meine jetzige Beratertätigkeit noch weiter viel hinzu. Es rufen mich Frauen an und sagen: “Mein Kind ist jetzt ein Jahr alt. Alle geben ihr Kind jetzt in die Krippe. Aber ich möchte, dass mein Kind doch noch ganz in meiner Nähe bleiben kann.“ Wenn ich diese Mütter in ihrem natürlichen Wunsch bestärke, dann bekomme ich nach Jahren manchmal oft erstaunliche Danksagungen. Ich bekomme so viele Anfragen und Rückmeldungen - auch weil ich ja kostenlos berate. Jeder soll bei mir anklopfen können, auch wenn das Budget knapp ist.
Sie werden auch deshalb mit 95 Jahren noch gerne gehört, weil viele ihrer Vorhersagen, die Sie mutig schon in den Siebzigerjahren für die Jahrtausendwende gemacht haben, eingetroffen sind. Dazu gehört, was sich damals noch kaum jemand hätte vorstellen können, ein massiver Anstieg des Kindesmissbrauchs bis zum Jahr 2000. Wie konnten Sie auch das damals schon sagen?
Wir hatten in den Achtundsechziger-Jahren eine Revolte von vaterlosen Jugendlichen. Alexander Mitscherlich, der damals führende Psychoanalytiker, schrieb ein viel beachtetes Buch über die “vaterlose Generation“. Darin waren sehr treffend die Nachkriegssöhne beschrieben, denen die Orientierung durch vorbildliche Väter fehlte. Diese Generation lärmte dann auf den Straßen gegen die angebliche Unfreiheit. Sie wollten total frei sein, vor allem im Hinblick auf die Sexualität. Es fand eine Sex-Entfesselung statt. Man propagierte die Ideologie: Sexualität brauchst du von der Wiege bis zur Bahre, das ist dein Lebenselixier, das ist so nötig wie das Trinken von Wasser. Mit dieser Ideologie wurde eine Pädagogik entwickelt, die dann in die gesamte Gesellschaft eindrang. Die Vergötzung der Sexualität bewirkte aber durch die Maßlosigkeit der Anwendung eine Suchtgesellschaft mit Krankheiten über Krankheiten.
Dass Sie schon fast ein Jahrhundert lang neben der Familie auch größte berufliche Anforderungen erfüllen und viele Anfeindungen ertragen konnten, ist sicher auch Ihrem Glauben zu verdanken. In den Achtzigern sind Sie zur katholischen Kirche konvertiert. War es denn bei Ihnen zuerst der christliche Glaube, der Sie zu psychologischen Erkenntnissen geführt hat oder haben umgekehrt die Erfahrungen, die Sie in der Beratungspraxis gemacht haben, eine Neuorientierung nahegelegt?
Das will ich gerne beantworten: Gläubig war ich immer. Das weiß ich deshalb sehr genau, weil ich als Kind eine schwere, lebensbedrohliche Krankheit hatte, eine eitrige Mittelohrentzündung. Wir hatten ja damals noch kein Penicillin. Mein Zustand verschlechterte sich sehr und man hatte mich schon aufgegeben. So war ich als achtjähriges Mädchen schon sehr bewusst mit dem Tod konfrontiert. Ich weiß noch von meinen Gebeten, auch von meinen Schuldgefühlen, mit denen ich damals diese Krankheit durchlitten habe, denn ich hatte Gott zuvor darum gebeten, auch einmal richtig krank sein zu dürfen. Wichtig war auch mein außerordentlich gläubiger, stiller Künstler-Vater, der Maler war. Meine Eltern waren ein fester Grund durch meine Kindheit hindurch. Sie war in sich schön von Anfang bis Ende.
Durch meine berufliche Tätigkeit, in der ich so viel von der liebenden Fürsorge Gottes für uns Menschen entdecken durfte, entwickelte sich dann mehr und mehr der Vorsatz: Ich werde bis zum letzten Atemzug ganz direkt Gott dienen, ich muss meinem Gott dienen, weil er mich täglich so liebt die ganzen Jahre hindurch, dass ich ihm schon aus meinen dankbaren Gefühlen heraus irgendwie Gutes heimbringen möchte. Weil ich weiß, wie sehr sich unser himmlischer Vater nach liebevollem Dienst sehnt. Was darüber hinaus geht, wird für mich zur Zeitverschwendung. Deshalb werde ich bis zum letzten Atemzug zu tun versuchen, was er mir aufgetragen hat: den Dienst an Kinder und Familien.
Wenn Sie zurückblicken auf die bisherigen 95 Jahre, auf alles, was Sie in dieser Zeit durchlebt und durchlitten haben, was wäre Ihr wichtigster Rat an alle Leser?
Da gebe ich auf jeden Fall weiter, was mir mein kluger Mann immer wieder zwischendurch gesagt hat. Erstens: Nimm Dich nicht so wichtig, und zweitens: Wisse, dass wir von Anfang an geliebte Wesen sind. Halte Dich an den, der dich liebt, denn er ist getreu und steht für dich ein. Das ist der dreieinige Gott. Wenn du ihm treu bleibst, wird sein Segen auch in Dir sein.
TV-TIPP: Das “Großeltern-ABC“ mit Christa Meves bei EWTN.TV
Der katholische Fernsehsender EWTN.TV hat eine neue 13-teilige Serie mit Christa Meves und Michael Ragg gedreht: “Das Großeltern-ABC – Was man wissen muss, um mit Kindern und Enkeln glücklich zu werden“ bezieht sich auf den bereits in 14. Auflage erschienenen gleichnamigen Bestseller aus dem Christiana-Verlag. Starten wird die Serie Ende April. Die Therapeutin schildert praxisnah, worauf es beim Beitrag der älteren Generation zur Kindesentwicklung besonders ankommt und was getan werden kann, um typische Schwierigkeiten zu vermeiden. Weitere Informationen zu Programmen und Empfangsmöglichkeiten: www.EWTN.TV
Ein perönlicher Geburtstagsgruß von Martin Lohmann
Liebe Christa,
heute, am 4. März 2020, kannst Du Deinen 95. Geburtstag feiern. Wenn ich hier nun zur digitalen Feder greife, um Dir einen sehr herzlichen Glück- und Segenswunsch öffentlich nach Uelzen zu rufen, dann werde ich dies sicher im Namen vieler Menschen tun dürfen, die Dir ebenfalls ausgesprochen dankbar sind für Deinen Mut, Deine Klarheit, Deine Zuversicht, Deine Unbestechlichkeit und Deinen hilfsbereiten Weitblick. Du bist eine in vielfacher Hinsicht außergewöhnliche Persönlichkeit.
Analytisch, unerschrocken, unermüdlich. Du lässt Dich nicht beirren, nicht bezirzen, nicht bestechen. Du denkst selber. Du schreibst. Du sprichst. Du hörst zu. Du baust auf. Nichts konnte Dich umhauen in den vergangenen mehr als 50 Jahren. Keine Verleumdung. Keine Diskreditierung. Kein Ausgrenzen. Du hast Dich schlichtweg mit aller Konsequenz der Wahrheit verschrieben. Und diese ist für Dich – wie für viele andere auch – eine wirkliche Person. Sie ist der Gottessohn Jesus Christus. Er ist – wie Er selbst von sich sagt – DER Weg, DIE Wahrheit und DAS Leben. An „unserem so großen Gott“, wie Du es gerne formulierst, richtest Du Dich aus. Deine Entscheidung steht nach wie vor: Ihm zu vertrauen, ist das größte Glück und vermittelt die sicherste Sicherheit.
Du kannst Dich so wunderbar über Lob freuen. Das tut Dir gut, das ist schön, und davon sollst Du heute eine Menge bekommen. Zu Recht. Bestens begründet. Doch vorweg eine aus unserem Glauben gewonnene feste Hoffnung: Dein vor vielen Jahren bereits heimgegangener Harald, der Dich in den 60er Jahren ermunterte, loszuziehen und zu reden und zu schreiben, wird Dich vermutlich eines Tages im Haus des himmlischen Vaters – wenn man so sagen darf – voller Stolz und Dankbarkeit freudig empfangen. Aber nicht nur mit ihm wird es dann ein frohes Wiedersehen geben. Und voller Dankbarkeit für so viel Gutes, das Du so unendlich vielen Menschen tun konntest, gratulieren Dir heute viele Menschen. Du bist ein Segen, liebe Christa! Deo gratias. Gott sei Dank gibt es Dich.
Manche sagen, Du seiest umstritten. Aber das ist ja heute, wo sich die Diktatur des Relativismus und des naturalistischen Nihilismus überall eingenistet hat und ihre panische Angst vor Wahrheit und Wirklichkeit zu verstecken sucht, eine Auszeichnung, ein Kompliment. Du quittierst derartige Bezeichnungen gerne mit einem nach wie vor mädchenhaften Lachen. Umstritten? Diese Ehrenbezeichnung hast Du redlich verdient. Was wurdest Du nicht eifrig bekämpfst, als Du sehr früh vor fatalen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gewarnt hast! Und wie sehr hat es jene, die diese Cassandra aus der Heide als wahnsinnig störend empfanden, geärgert, dass Du mit allen Deinen Prognosen Recht behieltest! Das, was Du mitten in die reaktionäre Ideologie der 68er hineinsagtest, war höchst unbequem. Und die Tatsache, dass die Hirnforschung und andere Wissenschaften Dir später auch noch das Siegel der Korrektheit schenken mussten, weil einfach nichts von Dir tumb phantasiert worden war, sondern seine wissenschaftliche Bestätigung erhielt, war schon mehr als unbequem. Diese Meves!
Als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin wusstest Du – nicht zuletzt aus ganz konkreter Beobachtung in der Praxis – schlicht und ergreifend, worüber Du sprachst. Du sahst, wie Kinderseelen deformiert worden waren, wie sehr sie sich nach wirklicher Nahrung für Herz und Geist sehnten. Du konntest frühzeitig erkennen, wie perfide und subkutan massiv der Angriff auf die Familie mit dem Ziel der Zerstörung von Glück und Geborgenheit begonnen worden war. Du machtest Dich früh – und völlig unmodern, aber dennoch notwendig – zur Anwältin der Mütter, um damit auch Anwältin der Kinder zu sein. Du reichtest in Zeiten der Verwirrung und Verführung, als vermeintliche Geistesnahrung placebogleich gesellschaftlich verordnet wurde, mentale Medikamente der Freiheit.
Viele, die Dir begegnet sind – ob persönlich, bei Vorträgen, in Fernsehgesprächen, in Telefonaten, in Büchern oder in Briefen, erfuhren eine begnadet neugierige, achtsame, wache und interessierte wie wissensreiche Persönlichkeit, die mit Charme und Wissen zu faszinieren weiß. Du bist im wahrsten Sinne des Wortes eine Benedicta, also eine, der von Gott Gutes zugesprochen ist – bene dicere –, und die anderen Gutes zuspricht, die das von oben Geschenkte gerne weiterreicht an andere. Unsere leider schon verstorbene Freundin Johanna Gräfin von Westphalen brachte es vor fünf Jahren, zu Deinem 90. Geburtstag, so wunderbar auf den Punkt: Du bist zum Segen geworden– „für unsere Kinder, Mütter, Familien, für unser ganzes Volk!“ Ja, Du bist ein kostbares Gottesgeschenk.
Deine Gedanken und messerscharfen Analysen sind nach wie vor aktuell. In der Folge der Studentenrevolte von 1969 sprachst Du vom „neuen zentralen Sündenfall durch ein Hintanstellen der christlichen Struktur des Abendlandes“. Als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin entdecktest Du auch in dieser Zeit bereits die negativen Folgen eines Verhaltens, das sich aus einem allein von Menschenhand gemachten Leben ergibt: „So wurde die Schöpfungsordnung in der Kindererziehung nun weitgehend – und zwar negativ – verändert, was bald schon eine Aufweichung der familiären Strukturen zur Folge hatte. Darüber hinaus wurde die Sexualität, der zweitstärkste Naturtrieb, der moralischen Einbindungen enthoben und zu selbstbestimmter Entfesselung freigegeben. Die Autoritäten und Hierarchien wurden für überflüssig erklärt.“
Unbeirrt und warnend markierst Du seither, welche Folgen die offenbar bewusst gewollte Schwächung von seelischer Gesundheit im Kindesalter für ein ganzes Leben, auch im Blick auf Leistungs- und Bindungsfähigkeit, hat. Es sei besonders gefährlich, schädigend und in höchstem Maße unverantwortlich, „wenn das Kind in den ersten drei Lebensjahren zu wenig Nähe mit seiner Mutter erfahren hat“. So etwas wollen Ideologen und Verführer nicht hören! Du störst, liebe Christa. Gott sei Dank.
Und auch diese Sätze passen nicht ins ideologische Kleinkaro einer sich ach so aufgeklärt dünkenden Zeit: „Die Bindung des Kindes an seine Mutter hat lebenserhaltenden Sinn. Deshalb bleibt sie auch noch in den folgenden Jahren in dem Maß erhalten, als das Kind vollständige Selbständigkeit noch nicht erlangt hat, und das heißt, bis in die Siebenjährigkeit hinein.“ Und: „Den Säugling in Krippen zu betreuen, sollte deshalb nur dem äußersten Notfall vorbehalten bleiben; denn eine Fremdbetreuung durch mehrere Personen im Schichtdienst irritiert das Kind und mindert seine spätere Soziabilität. Eine umfängliche Langzeituntersuchung in den USA hat sogar apodiktisch festgestellt: diese Form des Umgangs mit dem Säugling schadet ihm je früher sie einsetzt, je länger sie dauert und je kontinuierlicher sie gehandhabt wird.“
Dein Credo, das aus mehr als 3000 Vorträgen und mehr als 100 Büchern mit einer Auflage von mehr als fünf Millionen spricht, ist eigentlich ganz einfach: Die Mutter gehört zum Kind! Doch wer die Hoheit über den Kinderbetten und darüber hinaus anstrebt, will das einfach nicht wahrhaben. Dieser Erkenntniszuwachs könnte ja ein ganzes Gebäudekonstrukt wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen.
Du machst – dennoch oder gerade deshalb – Mut. Vielen. Sehr vielen. Zum Glück. Deine eigene Sehnsucht nach Klarheit und mentaler Nachhaltigkeit, so würde man das heute wohl nennen, führte Dich 1987 zum katholischen Glauben. Seither ist der Empfang des real gegenwärtigen Gottessohnes in der heiligen Eucharistie für Dich der (!) Quell Deiner Schaffenskraft. Ich weiß es aus eigener Erfahrung: Wenn man Dich darauf anspricht, spiegelt sich in Deinen Augen und auf Deinem Gesicht ein glückliches, zufriedenes und Geborgenheit ausstrahlendes Gesicht einer jung gebliebenen Seele. Jaaaa, gluckst es dann förmlich aus der Tiefe Deiner Seele froh und sprudelnd heraus. Dann vergisst Du auch niemals, unsere liebe Gottesmutter zu erwähnen, jene Frau aller Frauen, die der Kirche und der Welt eine so heilsame und unglaublich volle Botschaft zu reichen hat. Und wenn man Glück hat, dann hört man gerade dann Dein für Dich so typisches vulkanähnlich eruptives Lachen.
Der heilige Papst Johannes Paul II. zog Dich gewissermaßen mit seiner so wegweisenden Klarheit in die katholische Kirche. Du hast seine Texte gelesen – mit roten Ohren, wie Du berichtest. Und Dir „sprangen Reifen der Sorge von der Seele: Dieser Papst wagte die Wahrheit! Und das fiel mitten hinein in meine publizistische Einsamkeit und in mein doch nur so schwaches warnendes Zirpen.“
Mit seinem Nachfolger Benedikt XVI. verbindet Dich ebenfalls viel geistige Heimat, schon lange, bevor Joseph Ratzinger Petrusnachfolger wurde. Dessen Rede im Deutschen Bundestag von der Notwendigkeit, die Ökologie des Menschen zu beachten, löste bei Dir am Fernseher wahre Glücksmomente aus. Du schätzt ihn, und er schätzt Dich ebenfalls sehr. Wen sollte das wundern!? Wen kann es überraschen, dass zwei begabte Propheten sich nicht fremd sein können.
Ich wiederhole es gerne: Du bist schnörkellos, mutig, glaubensstark, echt, verletzlich, analytisch, hilfsbereit, nachdenklich, dankbar, verlässlich, mütterlich, gütig, herzlich. Du bist im besten Sinne eine von oben gespeiste Zu-Mutung. Du bist ein Bollwerk gegen die entfesselte Maßlosigkeit, gegen die Auflösung der Familie, gegen den Missbrauch von Kindern durch Frühsexualisierung und gegen eine Kultur des Todes und der Zerstörung. Und es ist ja so richtig, was Du sagst: „Wir brauchen, anders als uns alle Verführer einimpfen wollen, für unsere Lebensgestaltung das Hinaufhören zu einem allmächtigen Gott“.
Liebe Christa, vermutlich wird es Dir nicht entgangen sein, was aber auch andere so empfinden werden: Ich bin Dir unendlich dankbar, liebe Mater Christa! Und ich bin Gott dankbar für diese seine große Christa! Er möge Dich reichlich segnen und Dir eines Tages all Deinen Mut, Deinen Einsatz und Dein kraftvolles Gottvertrauen lohnen.
Herzlich,
Dein Martin